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26. Februar 2020: Rede von Dr. med. Thela Wernstedt zur Aktuellen Stunde "Rettet die 112 - Reform der Notfallversorgung nicht gegen Land und Kommunen"

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,
das ist ein wunderbar plakativer Titel, und wie immer ist die Wirklichkeit komplizierter.

Die Verantwortlichkeiten und die Finanzierung des Gesundheitswesens und damit auch die des Rettungsdienstes sind auf den unterschiedlichen politischen Ebenen verteilt. Das macht jede politische Beschäftigung mit dem Gesundheitswesen heillos komplex. Kurze verständliche Zusammenfassungen sind dabei eine Herausforderung.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat in seinem Gutachten 2018 über die „Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung“ die aktuelle Situation der Notfallversorgung in Deutschland analysiert und erheblichen Reformbedarf in den unterschiedlichen Versorgungsbereichen festgestellt sowie richtungsweisende Empfehlungen zur Neuordnung erarbeitet.

Ich zitiere aus dem Referentenentwurf des BMG zur Reform der Notfallversorgung, der seit Januar 2020 vorliegt, dessen grundlegende Ideen aber schon über einem Jahr in Fachkreisen diskutiert wird: „Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es für eine bedarfsgerechte und ressourcenschonende Notfallversorgung einer einheitlichen, qualitätsgesicherten Ersteinschätzung der von Hilfesuchenden als Notfälle empfundenen Erkrankungssituationen und einer professionellen Steuerung und Vermittlung in die aus medizinischer Sicht gebotene Versorgungsstruktur bedarf. Dies setzt eine integrierte Notfallversorgung voraus, die durch eine verbindliche Kooperation aller handelnden Akteure des Rettungsdienstes und der ambulanten und stationären Notfallversorgung zu erreichen ist und durch eine digitale Vernetzung begleitet sein muss.“

Die Landkreise sind Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes und stellen die Versorgung von Kranken und Verletzten rund um die Uhr innerhalb von 15 Minuten ab Meldung des Vorfalls sicher. Nur diese 15 Minuten hat man bei Vorliegen eines Kreislaufstillstandes zur Reanimation ohne zerebrale Folgeschäden. Die Landkreise nehmen diese Zuständigkeit professionell und zuverlässig mit guten Kenntnissen regionaler Besonderheiten wahr. Die Krankenkassen tragen seit Anfang der 90er Jahre die Gesamtkosten des Rettungsdienstes.

In der „Enquetekommission zur Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Niedersachsen“ haben wir uns im Frühjahr 2019 ausführlich mit den Problemen des Rettungsdienstes und der Notaufnahmen beschäftigt. Währenddessen kursierten die ersten Ideen für einen Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums zur Neuordnung des Rettungswesens nach den Vorschlägen des Sachverständigenrates.

In der Enquetekommission haben wir nach den Vorschlägen des Sachverständigenrates die Bildung regionaler integrierter Leitstellen zur Koordination aller nicht-polizeilicher Gefahrenabwehr und des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes bereits im letzten Frühjahr konsentiert.

Das heißt konkret, dass nicht nur wie bisher die Rettung und der Krankentransport über die Feuerwehrleitstellen organisiert werden, – hier kommt also endlich die 112 ins Spiel – sondern auch der kassenärztliche Notdienst, der jetzt bundesweit die Nummer 116 117 hat.

Hier gibt es aber eine folgenschwere Unschärfe, die von den kommunalen Spitzenverbänden aus meiner Sicht zu Recht angemahnt wird: Das neue Terminservicegesetz nutzt die Telefonnummer 116 117 für Patienten, die selbst keinen Facharzttermin bekommen. Gleichzeitig erreicht man inzwischen bundesweit unter der Nummer 116 117 den hausärztlichen Notdienst.

Wenn zukünftig die Telefonnummer des Rettungsdienstes 112 mit der 116 117 in einer integrierten Leitstelle aufläuft, um die Notfälle entsprechend ihrer Dringlichkeit durch die Disponenten zu steuern, ist schwer vorstellbar, wie diese Disponenten gleichzeitig noch für Facharzttermine sorgen sollen.

Der Referentenentwurf spart dieses Problem aus, es ist aber da und sollte im Vorfeld gelöst werden, ehe es in der praktischen Anwendung zu unlösbaren Situationen kommt.

In der Enquetekommission haben wir dieses Problem zwar am Rande diskutiert, aber noch keine Position konsentiert. Das hängt damit zusammen, dass erst seit Januar 2020 dieser Referentenentwurf vorliegt. Die Enquetekommission wird sich im April/Mai 2020 erneut mit der Thematik beschäftigen und zu einer Positionierung kommen.

Bei der Kostenschätzung im Referentenentwurf, was die Veränderungen in der Verteilung der Patienten die unterschiedlichen Träger kosten würde, gibt es große unbestimmte Bereiche. Der niedersächsische Landkreistag befürchtet in einer Stellungnahme von Anfang Februar 2020, dass es zu Verschiebungen in dreistelliger Millionenhöhe zuungunsten der Kommunen kommen könnte, was verständlicherweise abgelehnt wird.

Der niedersächsische Landkreistag lehnt jede Zentralisierung der Disposition von Rettungsmitteln durch die Bundesebene strikt ab. Die Position ist klar: „Der Rettungsdienst muss fachlich integraler Bestandteil des Gefahrenabwehrrechts der Länder bleiben.“ Gleiches gilt für die Bewältigung von Großschadensereignissen. Die Enquetekommission wird das – wie bereits ausgeführt – in Kürze debattieren.

Wir als Enquetekommission plädieren für den Aufbau integrierter Notfallzentren in Krankenhäusern und dort eine auf medizinischen Kriterien bestehende Steuerung nach Behandlungsdringlichkeit zusammen mit Hausärzten und den angestellten Klinikärzten. In der Gretchenfrage diskutieren wir aber noch intensiv: Welche Krankenhäuser werden ein solches INZ bekommen? Das ist noch in der Entscheidungsfindung. Wir werden die Diskussion in der Enquetekommission im April/Mai 2020 vor dem Hintergrund der Entwicklungen auf Bundesebene wieder aufnehmen.

Geschichten aus meiner Erfahrung als Notärztin zu Lande, zu Wasser und in der Luft wären jetzt wahrscheinlich spannender gewesen, aber Politik muss sich um die Voraussetzungen kümmern, damit die Notfallversorgung auf bessere Füße gestellt wird.

In der hier vorliegenden Problemlage heißt das, dass die Rettungsleitstellen nicht mit Terminsuchen belastet werden dürfen, dass es keine unkalkulierbaren Kostenverschiebungen zuungunsten der Kommunen geben darf und ohne Beteiligung der Länder und der Kommunen keine strukturellen Entscheidungen bezüglich der Notfallversorgung getroffen werden sollten.

Unsere Enquetekommission ist ein gutes Beispiel dafür, dass es mit Beteiligung aller wichtigen Player nach zähem und durchaus sehr kontroversem Ringen um Positionen auch zu gemeinsam getragenen Ergebnissen kommen kann.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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